vom 12.12.18 bis 07.01.19 war Karin Marquardt als Gast in der Gemeinschaft
… lange habe ich überlegt, wie schreibe ich denn einen Artikel für meinen blog über diesen Aufenthalt. Das war keine Reise im Sinne meiner bisherigen Touren im WoMo.
Ich möchte es trotzdem in den blog aufnehmen und nicht auslassen, aber einige der wichtigsten Erlebnisse kann ich kaum in Worte fassen. Die sind auf einer anderen Ebene angesiedelt, nicht im Kopf, sondern im Herz, im Gefühl, im Bauch. Meist sind das die Ebenen, die ich sonst kaum berühre, erspüre.
So möchte ich einen Tag im Leben hier in dieser Gemeinschaft beschreiben.
Ich habe alles so erlebt, aber chronologisch hat er sich nicht genau so ereignet.
Doch für wen beschreibe ich es wie? Da sind meine Herkunfts-Familie, skeptisch, wo ich da wohl lande, Freunde und Kollegen, mit Vorstellungen aus dem Familiendasein oder dem Arbeitsteam und aber auch Freunde, mit denen ich in der kleinen „Herzweg“-Gemeinschaft in Grafing zwar nicht wohne, aber neue Möglichkeiten des respektvollen, empathischen Umgangs miteinander erprobe und pflege.
Alle Zielgruppen werde ich wohl nicht gleichermaßen erreichen.
der Ort:
Jahnishausen ist ein kleines „Nest“, 5 km von Riesa an der Elbe in Sachsen entfernt. Ziemlich flaches Land, viele große Felder, Bäume und Sträucher, aber kein wirklich richtiger Wald, ein Schloßpark mit alten Bäumen und Teich.
Und hier ist ein verfallenes altes Rittergut im Jahre 2001 durch den Kauf von sieben unglaublich visionären Frauen zu neuem Leben erwacht. Sie haben eine Gemeinschaft gegründet, die den Stürmen der Zeit standgehalten, sich entwickelt hat und derzeit von ca. 40/ 45 Menschen bewohnt wird.
Es waren „Wessi“-Frauen ( ob sie die ehemalige DDR-Nationalhymne kannten?) , denn sie entwickelten „Auferstanden aus Ruinen….“ mit weiteren Enthusiasten einen neuen belebten Platz.
Ein großzügiges Gelände mit großen Bäumen, viel Grün, verwunschenen Plätzen, Scheunen, aus denen auch mal Putz oder Ziegel bröckeln, Wohngebäuden, denen man noch nicht allen von außen ansieht, wie sie innen saniert und wunderschön mit Charakter zum Wohnen hergerichtet sind. Es gibt Wohnungen, die allein oder zu zweit bewohnt werden oder kleine richtig feine WG`s mit gemeinsamer kleiner Küche. Ein Gebäudekomplex wird zentral mit einer Hackschnitzelanlage beheizt, ein anderer im Gutshaus ist noch unsaniert mit Ofenheizungen in allen Zimmern, natürlich wird Ökostrom und Sonnenenergie genutzt.
Ein Wohnhaus ist farbig als Storchenhaus gestaltet, ein alter riesiger Kuhstall mit Gewölbedecke dient als Wäsche- und Fahrradstellplatz im Winter, die Pläne zum Ausbau eines weiteren Gebäudekomplexes liegen auf Eis. In Küche und Essraum kann gemeinschaftlich Frühstück und vegetarisches Mittagessen hergerichtet und eingenommen werden.
Das Cafe „Dante“, ein großer Gemüsegarten, ein paar Ziegen und Hühner, Freiflächen für Zelte, eine Sommerküche draußen, zwei Komposttoiletten für deren Liebhaber, ein Gerüst für eine Schwitzhütte und ein Labyrintweg, ein Pizzaofen mit Überdachung….beim Spaziergang über`s Gelände entdeckt man immer mehr.
Sogar ein externes Garten- und Feldgrundstück – das Neuland – gehört seit Neuestem zum Besitz.
Hier können im Terassenanbau neue Gartenbau-Ideen verwirklicht werden, oder man radelt kurzerhand dorthin in die „Wochenend-Ferien“
Das alte Schloß hat dank der Initiative des Vereins „Accademia Dantesca“, dem viele aus der Gemeinschaft angehören, mit einem Zuschuß vom Denkmalschutz zunächst ein sicherndes, neu eingedecktes Dach bekommen. Es wird noch geraume Zeit dauern, bis Geld und Kraft eine Komplettsanierung ermöglichen.
die Organisation:
Die Lebenstraumgemeinschaft ist als Genossenschaft organisiert. In der Regel wird jedes ordentlich aufgenommene Gemeinschaftsmitglied auch Genossenschafter und zahlt einen Anteil ein. Zusätzlich werden eine moderate Miete plus natürlich Verbrauchskosten fällig.
In meinem Beisein wurde gerade ein neues Mietmodell von allen Genossenschaftern beschlossen.
Überhaupt entspricht die Organisation nicht der landläufig geschäftsmäßigen Vorstellung, daß es einen Chef gibt, der das Sagen hat. Eine Geschäftsführung unterbreitet Vorschläge, die von allen Genossenschaftern beschlossen werden, oder eben auch nicht.
Das Einstimmigkeitsprinzip kommt wie in der EU mitunter an seine Grenzen, verlangt neue Methoden des Aufeinanderzugehens oder verlangsamt auch Prozesse.
Alle Mitglieder sind für die Gemeinschaft tätig, meist unentgeltlich als Beitrag für den Aufenthalt hier, z.B. in der Baugruppe, für die Heizung, im Garten und Gelände, im Koch-, Spül-, Wasch- oder Putzdienst, in der Buchhaltung, als Hof-Fotograf oder in speziellen Gremien usw.
Einer Aufnahme in die Gemeinschaft geht ein langer Kennenlern- und Testzeitraum voraus, man kann sich für eine „Annäherung“ bewerben, z.T. schon vor Ort leben und es bedarf der Zustimmung der Gemeinschaft, wenn Interessenten neu aufgenommen werden.
mein Tag:
Der Wecker klingelt um 7, ich springe aus dem Bett ( so dynamisch war ich im WoMo nicht), kurzes Frischmachen und ich marschiere aus dem Torbogen (hier faucht immer der Wind) gleich links in`s nächste Gebäude wieder hinein in`s Warme.
In der „Falknerei“ huschen schon ein paar Frauen herum, Sitzkissen und Decke, Klangschale und ein Stuhl für mich finden ihren Platz im Kreis, die brennende Kerze in der Mitte. Ich hatte mir vorgenommen, täglich an der Meditation teilzunehmen, um es endlich einmal zu schaffen. Was zu schaffen? Nämlich zu spüren, ob da etwas passiert in mir, und wenn ja, was?
Nach 3x nachhallendem Gong ertönt das Monochord mit wunderbarem Klang der Saiten. Das Schöne ist, jeder kann es spielen nach Gefühl, ohne es zu lernen.
Dann ist Stille, 30 Minuten Stille.
Nun kommt das Erleben in mir, manchmal kratzt der Hals, ein Hustenreiz würgt, manchmal bildet sich Speichel in Massen, manchmal „jagen“ Gedanken, manchmal benutze ich den Trick, langsam mit jedem Atmen von 1 bis 10 zu zählen.
Manchmal gelingt es mir schon, nichts zu denken, nichts zu fühlen, nur zu sitzen und zu atmen.
Wenn gedämpft das 8-Uhr-Gongen der Standuhr aus der oberen Wohnung zu hören ist, weiß ich, die halbe Stunde ist bald herum. Und wirklich, der Gong der Klangschale holt uns wieder zurück in eine kleine Bewegung, Räuspern, denn untermalt vom Tönen des Monochords stimmen wir 3x „Omm“ an, etwas versetzt in Tonhöhe und Zeit, damit der Klang nicht abrupt unterbricht, wenn eine von uns wieder Luft einschnauft.
Nach 2 Wochen übrigens konnte ich den vollen Ton, das Vibrieren in meinem Brustkorb beim Omm spüren, vorher kam der Ton nur aus dem Hals. Ein wunderbar neues Gefühl.
Wir wünschen uns alle einen guten Morgen, räumen wieder auf und ich lege mir noch eine Matte zurecht. Ganz allein mit Blick in den Garten begrüße ich yoga-mäßig die (nicht vorhandene) Sonne, fühle den Krieger in mir, dehne, schnaufe beim Liegestützen und bin nach einer weiteren halben Stunde wirklich top erfrischt, egal wie kurz mein Schlaf war.
So kann ich zum Frühstück „schreiten“. Das gibt`s im Eßraum, ausreichend Platz für alle und am Buffett stehen Müsli, warmer Brei, Körner, Obst, Joghurt und Quark, Brot, Käse, Aufstriche süß und herzhaft bereit. Kaffee, der bei einigen Genussmenschen nicht unbedingt Beifall findet und eher an die Kaffeemischungen zum Ende der DDR-Zeit erinnert, außerdem Getreidekaffee und heisses Wasser.
Ich setze mich wechselnd zu den Menschen an den kleinen Tischen, man erkennt gleich die Strickerinnen in self-made Pullovern. Es wird geschwiegen oder geschwatzt, eine Besprechung vom Vortag ausgewertet, Urlaubspläne, politische Themen, Reparaturen besprochen, Verabredungen getroffen oder eben auch über den Zustand eines Gemeinschaftsmitgliedes im Krankenhaus informiert. Alles “normal”, wie erwartet bisher.
An einer Kreidetafel stehen die heutigen Veranstaltungen, auf dem Koch- und Küchendienstplan trägt man sich ein. Erstaunlich, daß auf freiwilliger Basis alle Dienste immer besetzt werden, obwohl sich da aus meiner Sicht nicht alle beteiligen. Ein Unmut darüber könnte entstehen, ist mir aber nicht aufgefallen. Der Putzplan der Gemeinschaftsräume, der Waschküche und Sanitäranlagen erfasst alphabetisch alle Mitglieder der Gemeinschaft.
Nach dem Frühstück mache ich kurz Zeitungsschau, die Sächsische Zeitung und die taz liegen täglich aus. Klasse !
Gestärkt notiere ich mir alle Termine im Handy-Terminkalender, räume mein gemütliches Gästezimmer auf und da noch nichts anliegt, spaziere ich durch`s Dorf und an der Jahna, dem kleinen Bach-Flüsschen entlang durch`s Naturschutzgebiet Jahnatal-Auwald. Beeindruckend sind die vielen Weiden, z.T. sehr alt und ausgehöhlt, die in Reihen auf den Wiesen oder am Bach stehen.
Im feuchten farblosen Dezember-Nebel sieht das z.T. gespenstisch aus.
Die Kargheit der Landschaft hat einen besonderen Reiz und ich entdecke Kleinode, vom Biber abgenagte Stämme oder eine alte Steinmauer mit Rundbogen für ein Rinnsal.
Nun aber flott, denn um 10 beginnt schon mein Dienst, ich habe mich für`s Kochen eingetragen. Zu dritt bereiten wir das vegetarische, vielseitige Bio-Essen zu, mit Gemüse, soweit noch vorhanden, aus dem eigenen Gartenanbau.
Auch für alle bekannten Unverträglichkeiten und für Veganer muß ausreichend angeboten werden.
Viel Gemüse schnippeln, Salate putzen, Soßen, Dressings oder Nachtisch bereiten, dünsten, kochen, überbacken im Ofen oder braten in der großen Kippbratpfanne, es werden alle Register gezogen, zwischendurch gespült und eine kleine Unterhaltung kommt auch manchmal noch zustande.
Aber es ist ein 3-stündiges emsiges Tun, das mir Spass macht so in Gemeinsamkeit. Zur Unterstützung ist eine zuverlässige, fleissige Flüchtlingsfrau gekommen und R., der heutige „Chefkoch“ wacht über alle Mengen und Prozesse und rührt und brutzelt.
Es ist kurz vor 13 Uhr, wir richten das Buffett im Speiseraum her, Salate in Glasschüsseln, warme Speisen bleiben in den großen Töpfen und schon strömen die ersten Hungrigen in den Raum. Alle warten brav, und als sich die drei Köche vor dem Buffett aufgebaut haben, heisst es „psst!“ und wir Köche erläutern, was und mit welchen Inhaltsstoffen wir heute gezaubert haben. Beifall der hungrigen Schar und schon „stürzen“ sich alle auf`s Essen, füllen sich die Teller und fast immer wird alles ratzeputz leer. Zu-spät-Kommen darf man da nicht!
Ein Gespräch am Tisch irritierte mich zunächst bei der Frage, was ich denn für Stärken hätte, die ich in eine Gemeinschaft einbringen wolle.
Upps, darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Ja klar, ich wußte, was ich von hier erfahren und mitnehmen wollte, aber hatte mich nicht vorbereitet, was ich denn selbst einbringen würde außer Küchen- und Putzdienst. Ja, was sind denn außer Buchhaltung, Abenteuerlust und Mut meine Stärken, die ich sicher habe, aber gerade nicht benennen kann. Darüber werde ich nachdenken müssen.
Und ein zweites Erlebnis: Ich möchte in`s Gespräch kommen, stelle ein Frage und erfahre zu diesem Thema eine Ablehnung. Es irritiert mich total, wenn ich irgendwo anecke, einen Widerstand oder eine Ablehnung spüre. Ich nehme es persönlich, als Ablehnung meiner Person, obwohl es wahrscheinlich eine sachliche Ablehnung ist. Diese Unterscheidung zu treffen und auch zu spüren, ist eine Lernaufgabe für mich.
Nicht leicht!
Am Nachmittag traf sich der „Zweig“. Dies ist eine kleinere Gruppe, die sich selbst zusammenfinden konnte und in dessen Mitte Themen besprochen, Gefühle geäußert werden, die nicht in`s Gremium der gesamten Gemeinschaft müssen oder passen. Ich durfte dabei sein. Diesmal gab es zwei Themen,
erstens: die Gruppe möchte für die Rauhnächte zwischen Weihnachten und dem 6.1. einige Veranstaltungen für alle organisieren.
Auch ich habe einen Vorschlag eingebracht, ich werde am Silvesternachmittag eine kleine Wanderung mit Glühwein-Rast und Fackel-Rückweg anbieten. Das kann ich, das macht mir Freude.
Und zweitens: die Bitte eines in Annäherung befindlichen Mitglieds, aus diesem Kreis in einen anderen zu wechseln. Und hier wurde es emotional.
Sie begründete ihren Wunsch, das fiel ihr aber sichtlich schwer und es spielten Ängste und ihr Sich-nicht-wohlfühlen in einem größeren Kreis eine Rolle. Ich war mit meiner Aufmerksamkeit mitten im Geschehen, fühlte die Unsicherheit einerseits und den Wunsch der Gruppe nach Klarheit anderseits mit. Dem Angebot der Gruppe auf persönliche Feedbacks stimmte sie nur zögerlich zu.
Und dann, offenbar unerwartet für sie, waren diese Feedbacks positiv, annehmend, wertschätzend, lobend … sichtlich überrascht hellte sich ihr Blick immer mehr auf, ein Lächeln zauberte Freude in`s Gesicht.
Ich war sehr beeindruckt. Einerseits ist es eine kleine Mutprobe, einen Wunsch zum Weggehen vor allen zu begründen, und andererseits habe ich erlebt, wie man ein wertschätzendes, ehrliches Feedback geben kann und wie stärkend es wirken kann.
Nach diesem Erlebnis brauchte ich Abschalten, schwang mich auf`s Radl, trat vehement in die Pedalen und spürte, daß mir ein Ausarbeiten und im kühlen Wind abstrampeln sehr wichtig sind.
Nach einem gescheiten Kaffee, selbst gebraut und einem Stückchen Dresdner Weihnachtsstollen war ich wieder ganz bei mir.
Zur Entspannung kann ich unter verschiedenen Angeboten wählen, Yoga, Feldenkrais, Chor oder abends Kino und sogar mal Sauna, es ist vieles so angenehm unmittelbar im Gemeinschaftskomplex möglich. Das finde ich genial, bin ich es doch von „zuhause“ gewöhnt, zu allen Aktivitäten mit dem Auto fahren zu müssen.
Mein Abendbrot richtete ich mir in der kleinen Küche der Wohnung selbst her. Als ich allerdings mal etwas größer aufkochte für`s Weihnachts-Mitbringbuffett erzeugte dies ziemliche Überraschung bei der Wohnungsinhaberin. Oje, ich dachte bisher immer, kochen sei selbstverständlich und bringt Menschen zusammen. Das ist mir ein wichtiger Punkt….
Um 20 Uhr ging es schon wieder zu einem großen Treffen.
Der „Gemeinschaftsabend“ alle zwei Wochen löste bayrische Volksmusik-Assoziationen bei mir aus. Der wurde es aber ganz und gar nicht.
( Hier löse ich mich wegen der Bedeutung der Themen aus dem fiktiven Tagesablauf und beschreibe zwei solcher Abende):
Für den ersten wurde ein Thema vorab angekündigt. Und das hatte es in sich.
Es ging um Selbstbestimmung zum Ende eines Lebens, Abhängigkeit im Krankheits-/ Pflegefall, dem Gefühl, sein Leben gelebt zu haben und Nichts mehr zu erwarten.
Ein solch sensibles Thema, das hier offen, behutsam, unter Anerkennung verschiedener Standpunkte im Focus stand….. mir blieben der Mund offen und Herz und Bauch zunächst überfordert.
Ist mir doch ein solcher Umgang mit diesem Thema und die vertrauensvolle, fast intime Atmosphäre völlig unerwartet gewesen. Nach einiger Zeit fasste ich Mut, mich ebenfalls zu äußern, erst nach mehrmaligem Husten und Räuspern brachte ich Worte heraus. Für die Offenheit, mich als Gast dabei zu haben und solche Themen in dieser Gemeinschaft zu besprechen, bedankte ich mich gerührt.
Beim zweiten Gemeinschaftsabend gab es zunächst eine kleine Diskussion, in welcher Form dieser denn stattfinden solle. Es gäbe ja einen Beschluß, am ersten Abend im Monat ein „Forum“ zu machen.
Dann wurde unterschieden in „großes“ oder „kleines“ Forum und es gab ein Einverständnis für ein kleines Forum.
Das ähnelt der Befindlichkeitsrunde in unserer Herzweg-Gruppe, hat aber m.E. mehr Biss durch die Zeitbegrenzung und mehr Öffentlichkeit/ Verbindlichkeit durch das Präsentieren von der Kreismitte aus.
Jeder hat 2 min Zeit und geht in die Mitte des Kreises, um sein Statement abzugeben. Wie ich mich da zeige, ist mir selbst überlassen, im Kreis gehend, stehend, alle anschauend, zu Boden blickend….. so oder so, ich bin für Jeden sichtbar.
Vorgeschlagenes Thema war: Fazit 2018, Ziele, Neues für 2019.
Es waren viele differenzierte Facetten zu sehen und zu hören:
Dankbares, Unklares, Trauriges, Streitbares, Wütendes, Zufriedenes, Glückliches, Zorniges, Wege aus Krankheitsbeschwerden, Freude über den Silvestertanz trotz Knieproblemen, Unsicherheit über einen Streit mit dem Partner, Ratlosigkeit wegen Altersproblemen……
Als ich dran bin, sind alle meine vorbereiteten Gedanken weg, ich spreche kurz von „meinem alternativen Leben 2018, das Andere bewundern oder erstaunt ablehnen und wolle nun hier in Jahnishausen nochmal prüfen, ob Gemeinschaft etwas für mich ist. Und nun nach 3 Wochen habe ich mich verliebt in die Gemeinschaft und bin ratlos. Eigentlich wollte ich nicht nach Mitteldeutschland zurück vom schönen Bayern. Ich bin gespannt, was daraus wird.“
Uff, die 2 Minuten sind schon herum.
Wie bei allen Beiträgen, die im äußeren Kreis Sitzenden äußern ihren Beifall für mich als Rednerin lautlos, durch Wedeln der erhobenen Hände. Damit wird nicht der Inhalt der Rede, sondern die Person gewürdigt.
Nachdem alle in der Runde dran waren, wird eine Befürchtung geäußert: wenn ein völlig Fremder auf dem freien Hocker sitzen würde, was würde er denn denken, nachdem er all dies gehört hätte, womit Jeder seine Probleme hat? Ob das ein Bild einer Gemeinschaft abgeben würde oder nur ein unscharfes Bild von zusammengewürfelten Eigenbrötlern?
Ich melde mich zu Wort, ich wäre ja die Neue:
Nachdem ich von Allen gehört habe, wie es ihnen geht, wo sie gerade stehen, Gas geben oder bremsen, bin ich emotional sehr berührt. Und für mich macht auch das den Wert der Gemeinschaft aus, daß man sich hier mitteilen kann, Wertschätzung, Empathie bekommt und sich danach sicher auch Jemand findet, der den Traurigen, Wütenden oder Ratlosen auffängt, umarmt, in Gespräche mitnimmt und so vielleicht zu einer Lösung der Knoten beitragen kann.
Auch ein großes Forum habe ich mit erlebt, hier geht nur in die Mitte, wer seine Freude oder Ratlosigkeit, Angst oder Schmerz mitteilen möchte. Eine erfahrene feinfühlige Forumsleitung ist dafür da, der Person in der Mitte mittels kurzer Fragen zum inneren Kern der Emotionen zu verhelfen. Dabei traten auch Ängste, große Gefühle zutage. Der geschützte Raum ist ein absolutes Muß, die Teilnehmer im Kreis außen herum sorgen für diesen vertrauensvollen Raum. Ein nachfolgendes Feedback der „Zuschauer“ über das Wahrgenommene ohne direktes Zwiegespräch ermöglicht spannende Erkenntnisse des „Darstellers“ über eigene innere Verquickungen mit der Chance auf Änderung. Und das alles im wertschätzenden, liebevollen Raum. Genial, aber anstrengend.
Nachtrag:
In der Silvester-Nacht stoßen wir nach Mitbringbuffett, Tanzen, betörendem Gesang „Dona nobis pacem“ in der Dorf-Schloßkirche mit Sekt auf`s neue Jahr an.
Ich schwebe fast vor Glück heute.
Zum Schluß werde ich noch zum Tarot in eine WG, eine erstaunlich schöne Wohnwelt eingeladen. Die Zimmer alle mit Zwischenboden in`s Dachgebälk, das schafft einen zusätzlichen Schlafraum. Sooo schön ! Bissl neidisch gucke ich auf diese schönen Zimmer, als wenn mein Einzug schon bevorstände….. und ich dort mit sein wollen würde… würde wollen, würde…. hätte….
…..schön langsam Karin, du bist zum Test hier, ob du gemeinschaftstauglich bist und nicht zum Entscheiden!
Und wer schon mal nach geheimnisvollem Mischen und Auslegen eine Tarot-Karte gezogen hat, weiß, was ich meine, als ich den MAGIER gezogen habe.! Wow! Kommunikativ, mutig, kraftvoll, offen…. er könne andere Menschen bezaubern, wirke anziehend, Leichtigkeit im Austausch ohne Oberfächlichkeit.
So soll es sein im neuen Jahr 2019 !
Mehr kann ich mir nicht wünschen. Wer hat da behauptet, daß man genau die richtige Karte für sich zieht?
Weißwein-beschwipst und zufrieden ziehe ich halb 3 in mein Dachgeschoß-Zimmerchen und beginne ein spannendes neues Jahr 2019.
…die folgenden Fotos von Mitgliedern der Gemeinschaft sind von Ursel Mans während des jährlichen Rundgangs der baulichen Neuerungen entstanden, wer mit dieser Veröffentllichung nicht einverstanden ist, melde sich doch bitte bei mir. (Kontakt: karinnepal@gmx.de)
Ziemlich bewegt, aufgeregt, mit flatternden Gefühlen gehe ich „nach Hause“ in mein Zimmer, lege eine Flasche Bier ins Gefrierfach und fahre den Laptop hoch, um meine Gedanken des Tages noch im Tagebuch zu verewigen. Das ist jetzt fertig getippt und ich kann mit Schwarzbier im Blut entspannter in`s Bett steigen.
Fazit:
In mir kreisen verschiedene Gefühle:
Mich irritiert hier noch, daß
…. nicht alle an wichtigen Treffen teilnehmen,
…. ständig Menschen da sind, mit denen man sich auseinandersetzen muß, die man akzeptieren, tolerieren muß,
…. in Gruppensitzungen gestrickt wird,
…. man leicht vergessen kann, für sich selbst zu sorgen vor lauter Einsatz für die Gemeinschaft,
…. die Altersstruktur von vielen, zu vielen Älteren geprägt ist, (da gehöre ich aber auch dazu!)
…. mir die Jüngeren durch ihr Familien- und Erwerbsleben gar nicht recht bewußt wurden,
…. Freiwilligkeit bei den Diensten nicht immer gerecht ist,
…. Meinungsverschiedenheiten in bezug auf Weihnachtsdeko z.B. zu Grundsatzfragen werden (wäre das nicht ein Thema für ein Forum?)
…. einer der Zweige für mich meist unsichtbar blieb, ich eher einen trennenden Eindruck hatte,
…. ein in die Gemeinschaft ziehendes Paar plötzlich mit Unsicherheit im Wohnen konfrontiert wird,
gibt es Vorrechte für die, die schon länger hier leben, muß man sich „hochdienen“ ?
…. ich sowohl herzliche Freundlichkeit, als auch Reserviertheit gefühlt habe,
…. die Geborgenheit auch leicht zu einer freiheitsmindernden Einengung für mich werden könnte,
…. es hier auch eine Sammlung sensiblerer Menschen geben kann und ob mich das stört, weil ich doch bisher eher leistungsbezogen agiert und geurteilt habe,
Mir gefällt es hier,
…. weil ich meist offen angenommen wurde und an allem ohne Vorbehalte teilnehmen konnte,
…. weil Menschen da sind, mit denen man ein gemeinsames Ziel verwirklichen kann,
…. weil man hier lernen kann, eigene Postulate infrage zu stellen,
…. weil Jeder zu Wort kommt und jede Stimme gehört wird,
…. weil Respekt und Wertschätzung die Gemeinschaft im Grundsatz tragen,
…. weil Gefühle, positiv oder „negativ“ anerkannt und ein wütender oder ratloser Mensch manchmal auch in einem Kreis der Gemeinschaftsmitglieder
berührt und gehalten wird,
… weil man hier Möglichkeiten hat, sich in fremden Tätigkeiten auszuprobieren oder neue Talente und Fähigkeiten zu entdecken,
…. Ressourcen wie Bücher, Waschmaschine u.ä. gemeinsam genutzt werden,
…. weil man hier auch im Alter noch viel Nützliches tun kann,
…. weil man hier gemeinsam nicht allein ist, auch im Krankheitsfall und beim Sterben,
…. weil man sich hier im Gemeinsamen nicht verstecken kann und selbstverantwortlich sein muß,
…. weil ich die Feiertage zum Jahresende in so schöner familiärer, gemütlicher, freudiger Atmosphäre erleben konnte,
…. weil die Kinder sich in der Gemeinschaft mit Selbstverständlichkeit bewegen können und eine Auswahl von Omas/ Opas vorhanden ist,
…. weil sich die Gemeinschaft in Gremien mit Zukunftsfragen, Nachhaltigkeit beschäftigt und in Supervisionen sich selbst immer wieder hinterfragt
und neu erfindet,
…. weil ich hier keine Dogmen erlebt habe, weder religiös, spirituell, noch im Essen, auch gelegentliche Fleischesser und Veganer können sich mögen, :o))
…. weil spannende Möglichkeiten für Gruppensitzungen und zur Entscheidungsfindung abwechselnd mit Leben erfüllt werden, z.B. Entscheidungen im Konsens,
Forum, Austausch im Zweig, Orga für rein organisatorische Dinge, Gemeinschaftsabend für alle Themen,
…. weil gesellschaftlich wichtige Themen hier gelebt werden , z.B. Autoteiler, Öko-Ernährung, eigener Acker- und Gemüseanbau, Engagement in der Region und
für Kunst und Kultur, Jugendcamps, Unterstützung von Flüchtlingen und … und… und
Jetzt langt`s aber.
Ich nehme beeindruckt von hier Abschied.
Und ich möchte gerne im Sommer wiederkommen.
Danke für die fast 4 Wochen, danke an Jeden in der Lebenstraum-Gemeinschaft Jahnishausen.